Während auf der einen Seite Packtaschen boomen und man den halben Hausstand zum Overnighter ans Expeditionsbike klettet und schnürt, ist auf der anderen Seite so ein Hauch von Trend zum Verstauen und Verstecken des Allernötigsten in Form von Werkzeugen, Pumpen und Flickzeug am und im Rad zu beobachten. Ich finde die Idee ganz spannend und habe mir die Konzepte mal näher angesehen.

Marktübersicht

  • All In Multitool: Die Hollowtech-II- und GXP-Wellen sind hohl und von einer Seite zugänglich, daher bringt All In hier ein Multitool mit Bitsatz unter. Mittlerweile gibt es eine neue Variante mit Kettennieter.
  • Bontrager BITS: Mini-Tool und Kettennieter für unten offene Gabelschäfte
  • Granite Design: Kettennieter und Reifenstopf-Werkzeug für die Lenkerenden, zwei Mini-Tool für unten offene und geschlossene Gabelschäfte, Reifenheber-Duo mit Zusatzfunktion als Kettenschlosszange, Ventilkappe mit Ventilwerkzeug
  • Mineral Barstow System: Ein Kettennieter und ein Reifenheber verschwinden mit den Mineral Endkappen im Lenker.
  • OneUp EDC Tool: Mini-Tool, Kettennieter, Kettenschloss, Reifenheber und CO2-Kartusche werden wahlweise im Gabelschaft oder in einer Minipumpe verstaut. Jetzt auch mit Kettenschlosszange und Reifenstopf-Werkzeug ergänzbar.
  • Rugged Aheadkappe: Zwei L-Schlüssel mit je zwei verschiedenen Werkzeug-Enden können zur Hebelverlängerung kombiniert werden und verschwinden nach dem Einsatz im Steuerrohr.
  • Smarttube: Lenkertools, einzeln erhältlich: Einmal 5 Bits, einmal Kettennieter plus Reifenstopf-Werkzeug
  • Specialized SWAT: Die tiefste Integration mit Transportfächern im Unterrohr bei einigen Modellen und das breiteste Angebot zum Nachrüsten mit Flaschenhaltern oder Sätteln mit Zusatzfunktion bietet Specialized.
  • Topeak Ninja: Topeak versteckt die Minipumpe in der Sattelstütze, den Kettennieter in den Lenkerenden und ein Multitool in einer  Box unterm Flaschenhalter.
  • Sahmurai S.W.O.R.D.: Den Markt der „Gummi-Würstel in Tubeless-Reifen-Löcher stopfen“-Werkzeuge teilen sich die Rennfahrer Max Friedrich mit MaXalami und Stefan Sahm mit der gefälligeren, weil im Lenkerende verstauten Variante.
  • Wolftooth Encase System: Mini-Tool, Kettennieter und Reifenstopf-Werkzeug für die Lenkerenden
  • Ich ergänze diese Liste gerne, wenn dir noch was einfällt!

Warum Werkzeug am Rad verstauen?

So richtig definiert scheint die Zielgruppe noch nicht zu sein. Mal ist es der Racebiker, der die Trikottasche frei von potenziell gefährlichen Werkzeugen halten will, mal der Feierabend-Biker dem aus Zeitgründen eine Flasche genügt und mal der Rennradfahrer, der sein Gefährt nicht mit Taschen verunstalten will.

Ich persönlich fahre zwar immer mit Camelbak wegen der Wasserversorgung und habe eigentlich mehr als genug Stauraum, empfinde es aber als lästig und langsam den Rucksack ausziehen und irgendetwas aus einem der Fächer herauskramen zu müssen. Fahre ich im Dunkeln, potenziert sich das Nerv-Potential weil der Helmlampen-Akku im Rucksack steckt und ich den Helm ausziehen oder die Lampe vom Akku trennen muss, um den Camelbak auszuziehen.

Auf der anderen Seite möchte ich mein Rad optisch auch nicht mit Ersatzteilen oder Werkzeugen verschandeln, die mit Klebeband behelfsmäßig angebracht sind. Auch eine Pumpe am Flaschenhalter ist unter ästhetischen Gesichtspunkten nicht meine erste Wahl. Was bleibt ist also die Integration.

Was funktioniert

Die Flaschenhalter mit angeschlossener Box dürften an den meisten Rädern passen, ein Specialized-Sattel mit der SWAT-Aufnahme lässt sich auch an jedes Rad montieren. Die Lenkerendstopfen mit Mehrwert passen in viele, wenn auch nicht in alle Lenker.

Genauso sieht es mit dem Tool von All In aus – kompatible Hollowtech-II- und GXP-Kurbeln sind weit verbreitet, an einem leichten Rad fährt man aber auch gerne mal was mit 30mm- oder DUB-Welle. Außerdem addiert man rotierende Masse.

Die mit Werkzeug und CO2-Kartusche gefüllte Pumpe von OneUp kann unterm Flaschenhalter befestigt werden, aber auch in der Trikottasche oder selbst im Rucksack ist das aufgeräumte Design nicht fehl am Platz.

Lösungen die Pumpe und Mini-Tool mit dem Flaschenhalter verbinden, gibt es mittlerweile in größerer Anzahl – zu viele um sie hier zu verfolgen, schaut einfach beim Zubehörhersteller bzw. der Radhersteller-Eigenmarke eurer Wahl.

Zusätzlich verfügen viele Bikes mittlerweile über drei Flaschenhalterschrauben am Unterrohr und es gibt Boxen, die von der dritten Schraube Gebrauch machen und geschützten Stauraum für Schlauch etc. bieten.

Wo es hakt

Bei Carbonschäften, die an leichten MTBs keine Seltenheit sind, fallen Aheadkappen-Lösungen die wie Rugged eine spezielle Kralle oder wie OneUp ein Innengewinde im Schaft benötigen raus. Bei unten geschlossenen Carbonschäften wie bei der SID Worldcup/Ultimate Carbon passt das Granite Design Werkzeug auch nicht. Die neuste Auflage der SID für 2021 kommt wieder mit Alu-Schaft, mal sehen ob das so bleibt – aber im Moment hat man damit auch hier die freie Auswahl.

Wenn man bei Mineral oder Granite Design die Lenkerendstopfen, bei Specialized den Kettennieter und bei Topeak die in der Sattelstütze steckende Pumpe erst mit einem Inbus befreien muss – wo hat man den verstaut? – ist das Konzept meiner Meinung nach schon gestorben. Das ist dann weder schneller noch eleganter als gleich genau das Werkzeug das man braucht aus dem Rucksack zu ziehen anstatt ein weiteres Werkzeug zur Werkzeugentnahme zu brauchen.

Im Grunde ist der erhöhte Aufwand der Entnahme von verschiedenen Werkzeugen aus verschiedenen Verstecken am Ende der Knackpunkt für die ganze Idee. Woher nehme ich die CO2-Kartusche, wenn ich das Sahmurai-Schwert aus dem Lenkerende in den durchlöcherten Reifen gerammt habe, woher das Kettenschloss mit dem ich die Kette wieder verschließe nachdem ich mit dem Topeak-Nieter ein verbogenes Glied entfernt habe? Ja genau, aus der Trikottasche, dem Rucksack oder der Satteltasche.

Die Kombination von OneUp scheint mir als Gesamtsystem noch am besten einsetzbar, zumindest in der langen Version der Pumpe mit CO2-Kartusche. Nach dem CO2-Einsatz muss man oft nochmal mit der Handpumpe nachlegen. Auch die Möglichkeit ein Kettenschloss unterzubringen und nicht nur den Nieter ist sinnvoll gelöst.

Je mehr diese Liste wächst, umso sinnvollere Kombinationen ergeben sich aber. 

Was scheitert

Reifenstopf-Werkzeuge sind die, die am schnellsten einsatzbereit sein müssen. Je schneller man stopft, umso weniger Luftverlust hat man und kann im besten Fall ohne Nachpumpen weiterfahren. Insofern würde ich die Finger von allem lassen was aus einem weiteren Behältnis entnommen oder bestückt werden muss.

Die Lenkerenden erscheinen mir ideal dafür. Aktuell habe ich am Tallboy Nr. 1 zwei Sahmurai Swords verbaut, leider muss man dazu zwei Sets kaufen. Wer hat jemals so ein Aufrauh-Werkzeug benutzt?

Beim Woolftooth Encase System muss das Reifenstopf-Werkzeug erst losgeschraubt werden und kann aus Platzgründen möglicherweise nicht mal bestückt verstaut werden – das kostet natürlich wahnsinnig Zeit, wenn man erst noch die Gummi-Wurst in das Werkzeug fummeln muss. Den Vogel hat aber Topeak abgeschossen mit seiner neusten Kreation.

Tubeless-Stopfwerkzeuge sind ja eine sinnvolle Erfindung – so große Löcher wie die Werbung behauptet kann die Milch…

Gepostet von crazyeddie am Donnerstag, 23. Juli 2020

Praxistest: Passform

Zwei dieser Werkzeuge habe ich mir bereits vor längerer Zeit gekauft: Das Sahmurai-Sword und den Topeak Ninja C Kettennieter. Zunächst traten die beiden Werkzeuge im Verstauen gegeneinander an. Als Lenker waren ein Syntace Vector Carbon Low10 mit 17mm Innendurchmesser und ein Bike Ahead Composites The Flatbar mit 20,4mm Innendurchmesser zugegen, stellvertretend für dick- und dünnwandige Lenker auf dem Markt.

Jaaaa, ich weiß, meine Fotoqualität

Der Topeak-Nieter mit nominell 16,5-20mm Durchmesser passte knapp in den Syntace, aber nicht in den Bike Ahead. Klar, der ist auch größer als erlaubt, aber es gibt ja durchaus noch leichtere und dünnere Lenker. Der Verstellmechanismus bei Topeak ist eine Qual, man quetscht mit einer Hülse auf einem recht groben und schwergängigen Gewinde einen breiten Gummiring auseinander. Mit einem größeren Durchmesser am außenliegenden Teil wäre es einfacher, aber die Zielgruppe sind Rennradfahrer und da wollte man wohl um jeden Preis vermeiden auch ein dünnes Lenkerband zu überragen. Verstellen im Lenkerende ist quasi unmöglich weil sich alles mitdreht, erst schrauben und dann reindrücken ist die Devise. Will ich das wirklich auf ruppigen Trails bergab fahren? Nein, definitiv nicht.

Das Sahmurai-Tool ist mit 17-21mm angegeben, passte aber nicht in den Syntace. Dafür funktioniert der Mechanismus einwandfrei und vor allem nach dem Einstecken ins Lenkerende im dünnwandigeren Bike Ahead und vermutlich auch wesentlich dünneren Lenkern. Der deutlich größere Durchmesser macht das Greifen, Lösen und Festdrehen einfach. Weil das Werkzeug bauartbedingt deutlich leichter ist als der Kettennieter, macht die Befestigung einen extrem sicheren Eindruck.

Praxistest: Funktion

Ich wollte keinen Reifen zerstechen zum Test, aber dass MaXalami und Sahmurai grundsätzlich funktionieren sollte bekannt sein. In der Praxis stört am Sahmurai, dass aus Verlegenheit eine Art Raspel für das zweite Lenkerende hinzugefügt wurde. Die soll bei Bedarf das Loch im Reifen aufrauen, vergrößern oder whatever, ich finde es einfach nur unnötig. Da wären zwei gleiche Werkzeuge bestückt mit je einer Gummiwurst oder ein Werkzeug zum Abtrennen der überstehenden Enden sicher sinnvoller. 

Da war die Kette noch in einem Stück

Da schmale Ketten verdammt fest vernietet sind und das Heraustrennen eines defekten Kettenglieds zum Ersatz durch ein Kettenschloss der häufigste Einsatzfall unterwegs sein dürfte, habe ich den Topeak an einem Reststück einer Shimano 11fach-Kette ausprobiert. Mit dem kleinen Park Tool CT-5 breche ich mir da regelmäßig fast die Finger. Zu meinem Erstaunen liegt der Topeak Ninja C sehr viel besser in der Hand und bietet genug Hebelweg, um die Kette ohne größere Anstrengung zu zerteilen. Wenn er im Pannenfall also tatsächlich noch im Lenkerende steckt, nietet er wie ein großer auch aktuelle Ketten – inklusive Campa, bei denen der Niet ja tatsächlich ein solcher ist und nach dem Eindrücken noch zusammengepresst werden muss.

Meine Pläne zur Werkzeug-Integration

2017 schrieb ich:

Beim Recherchieren, Ausprobieren und Schreiben ist mir eines klar geworden: Seit ich den Extremleichtbau hinter mir gelassen habe, habe ich wirklich sehr selten Pannen. Alternde Reifen, die tubeless irgendwann einfach keine Luft mehr halten wollen, waren in den letzten Jahren die größten Ärgernisse. Ab und an ein aufgeschlitzter Reifen, ein abgerissenes Schaltauge, ein gerissener Schaltzug – da hilft dann auch schnell zugängliches Werkzeug nicht mehr. Einen Platten, den ich mit Sahmurai hätte flicken können, oder einen Kettenriss hatte ich jeweils vielleicht einmal in den letzten 10 Jahren.

Wenn das Tallboy Nr. 1 mal fertig und ich wieder halbwegs in Form bin, werde ich wahrscheinlich wieder Rennen fahren – sobald ich ein Auto habe, vielleicht auch mal in Gegenden die unfreundlicher zu Reifen sind als meine Hometrails. Da könnte ich mir durchaus vorstellen, zwei Sahmurai-Schwerter in den Lenkerenden (und eine CO2-Pumpe im Gabelschaft) zu transportieren. Ansonsten wäre ein Ersatzschlauch in einer kleinen Tasche als Rahmenschutz am Lefty-Standrohr oder irgendwie integriert unterm Sattel überlegenswert.

Aber da es bei den meisten meiner Ausfahrten nicht um Sekunden geht, bleibe ich wohl im Allgemeinen beim Camelbak als Verstaumöglichkeit für mein Werkzeug. Für längere Ausfahrten ist außerdem der Gabelschaft als Aufbewahrungsort für einen Zusatzakku für den Garmin vorgesehen, insofern wird es mit der dauerhaften Integration eh nichts. (Das hat sich mit dem Garmin Edge 830 und dessen Zusatzakku-Option erledigt.)

In 2020 stecken tatsächlich zwei Sahmurai-Swords in den Lenkerenden des Tallboy Nr. 1, an den beiden anderen Rädern habe ich mich aus Trägheit noch nicht von den Cannondale-Griffen mit den geschlossenen Enden getrennt und deswegen noch ein Sahmurai-Sword im Camelbak dabei.

Weiter ist es mit der Integration noch nicht gegangen und wird es mit diesem Rad auch nicht mehr. Für die Zukunft sehe ich im Moment ein Bontrager BITS im Gabelschaft, eine Box mit Reifenhebern, Schlauch und CO2-Kartusche hinterm Flaschenhalter und obwohl nicht schön auch eine Pumpe unterm Flaschenhalter.

Edit: Am 31.08.2019 habe ich die Liste der Tools etwas aktualisiert und Granite Design ergänzt. Dazu kamen weitere kleinere Anpassungen im Text, weil die Fahrradwelt sich weiterdreht.

Edit 2: Am 24.07.2020 habe ich das Bontrager BITS und Wolftooth Encase System, einen Absatz zu Reifenstopf-Werkzeugen und einen zu meinen Integrationsplänen hinzugefügt und einige kleinere Änderungen vorgenommen.

Ein Kommentar zu “Werkzeug am Rad verstecken – SWAT, Ninja und Co.

  1. Cooler Artikel!
    Habe ihn durch Zufall gefunden, aber ihn mit Spannung gelesen. Vor zwei Stunden, danach hab ich etliche andere Sachen auf deiner Seite durchschmökert.
    Minimal Service bei RockShox etc.
    Danke

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